Ein Geburtstagsgeschenk für den getöteten Jonny K.
Ein Musical soll an das Leben des am Alexanderplatz zu Tode geprügelten 20-Jährigen erinnern. Es wird im Stage Theater am Potsdamer Platz aufgeführt.
Tina K. will ihrem Bruder etwas schenken. “Lasst uns alle ‘Happy Birthday’ singen, Jonny hat heute Geburtstag!”, ruft sie. Alle Tänzer, die Mitarbeiter hinter der Bühne und ein paar Leute im Zuschauerraum singen mit. Danach applaudieren alle im Stage Theater am Potsdamer Platz.
An diesem Tag, dem 7. April, an Jonny K.s Geburtstag, wurde zum letzten Mal auf der großen Bühne für das Musical “I am Jonny – on Stage” geprobt. Am 13. April soll es aufgeführt werden. Ebenfalls ein Geburtstagsgeschenk für Jonny.
Die Darsteller tanzen, lachen und singen auf der Bühne. Das Musical über das Leben und den Tod von Jonny K. soll ihn nicht als das Opfer vom Alexanderplatz zeigen, sondern sein Leben erzählen. Tina K. führt als Protagonistin mit begleitenden Videoausschnitten durch das Stück. Jeffrey Jimenez und Lisa Kühn von der Berliner Tanzgruppe Team Recycled sind für Skript und Choreografie verantwortlich.
Sechs gegen einen
In der Nacht zum 14. Oktober 2012 wurde der damals 20-Jährige am Alexanderplatz von sechs jungen Männern verprügelt. Er starb am nächsten Tag im Krankenhaus. Sein Fall hat bundesweit für Schlagzeilen gesorgt und eine Debatte über Fremdenfeindlichkeit und Jugendgewalt ausgelöst. Im Mittelpunkt der Diskussion steht auch von Anfang an seine Schwester Tina K., die später den gemeinnützigen Verein “I am Jonny” gegründet hat und sich für Gewaltprävention an Schulen einsetzt.
Das Musical zeigt einen Jugendlichen, der Breakdance mochte und für seine Freunde da war. “Ich hoffe, dass sich die Zuschauer mit Jonny identifizieren können, wenn sie das Stück sehen. Den Menschen soll klar werden, dass so etwas jedem passieren kann.” Tina K. ist der Meinung, dass jeder etwas für ein friedliches Miteinander tun kann, der Schlüssel sei die Liebe. “Wenn jeder mit genug Liebe aufwächst, dann passiert so etwas nicht.”
Der zweite Akt des Musicals beginnt mit einer Szene auf dem Alexanderplatz. Der Darsteller Jonny beschreibt die verschiedenen Gruppen dort. Die Punks, die Straßenkünstler, die Beschäftigten – sie tanzen zu Rap und Oldschool-Hip-Hop. Dann wird Jonny ein wenig melancholisch. “Berlin ist auch ein Ort des Schmerzes und der Trennung. Manchmal für eine bestimmte Zeit, manchmal für die Ewigkeit.”
Es folgt die Nacht zum 14. Oktober 2012. Jonny ist mit zwei Freunden zu einem Geburtstag unterwegs, der in einem Club am Alexanderplatz gefeiert werden soll. Auf dem Heimweg torkeln die drei Jungs aus dem Club, zwei von ihnen stützen den dritten. Sie treffen auf die sechs Männer. Die Musik im Stück wird lauter, brutaler – geredet wird nicht mehr. Die Männer verprügeln Jonny, der sich einmischt, als sein Freund angepöbelt wird.
Die Musik stoppt. Man hört das Geräusch eines Herzschlags und die Sirenen eines Krankenwagens. 3.30 Uhr zeigt die Videoleinwand an. Der Krankenwagen kommt, Jonny wird auf eine Bahre gehoben und am vorderen Rand der Bühne abgelegt.
Jugendliche tanzen wie in Trance
Traurige, geisterhafte Musik erklingt, auf der Bühne liegt Nebel. Ein Grüppchen Jugendlicher tanzt wie in Trance. Ein Nachrichtenbeitrag schildert die Ereignisse nüchtern. Jonnys Freund Gerhardt erzählt, wie er sich fühlte: “Ich konnte einfach nichts machen, ich stand nur da.”
Tina K.s Stimme erfüllt den Raum. “Ich war am 14. Oktober nicht dabei, das ärgert mich bis heute. Wenn ich da gewesen wäre, wäre es nicht passiert.” Eigentlich wollte sie mitgehen, sagt sie. Aber sie blieb zu Hause, wollte ihren acht Jahre jüngeren Bruder auch einmal allein feiern gehen lassen. Auf dem Video beginnt sie zu weinen. Sie erzählt, wie im Krankenhaus Jonnys engste Freunde warteten und niemand ihr in die Augen sehen konnte, weil sie sich die Schuld gaben. “Ich habe natürlich gehofft, dass Jonny dieses eine Wunder ist, dass die Welt, diese Stadt, unser Land verändern wird.” Doch auch als sie ihn nicht wieder mit nach Hause nehmen konnte, verlor sie die Hoffnung nicht. “Jonny wird trotzdem das Wunder sein, dass dieses Land verändern wird.”
Der dritte Akt zeigt, wie Tina K.s Leben weitergeht. Im Traum kommt ihr die Idee, den gemeinnützigen Verein I am Jonny e.V. zu gründen. Man sieht sie, wie sie Schulklassen besucht und Streits schlichtet. “I am Jonny bedeutet Zivilcourage zu zeigen, füreinander aufzustehen, etwas zu tun im Hier und Jetzt für das Morgen.” Sie hat eine Vision. Sie möchte in Berlin einen Campus für Jugendliche errichten, wo “große Brüder und Schwestern” ihnen helfen können. Und sie träumt von einer Sporthalle, die 24 Stunden geöffnet ist, damit die Kinder einen Raum haben.
Jocelyn B. Smith, die deutsche Stimme von König der Löwen, tritt im Musical live auf, sie singt wie schon beim Benefizkonzert zu Jonnys Geburtstag 2013 “Circle of Life”. Während der Generalprobe fordert sie alle Tänzer auf, auf die Bühne zu kommen und mit ihr zu singen. “Darum geht es, um das Zusammensein!”, ruft sie. Auch Tina K. betritt spontan die Bühne, sie weint vor Rührung.
Aufstehen und etwas tun
“Ich will nicht, dass ihr wütend seid oder trauert, ich will, dass ihr aufsteht und etwas tut. Denn wir befinden uns in einer Zeit, die so schnelllebig ist – und schon sind zwanzig Jahre vergangen und ich konnte meinem Bruder nicht mehr sagen, dass ich ihn lieb habe.” Das ist Tina K.s Botschaft. Liebe ist die beste Gewaltprävention.
Jeffrey Jimenez, Kopf der Tanzgruppe Team Recycled, hatte im vergangenen Jahr die Idee zum Musical. Der gesamte Erlös des Projekts geht an den Verein I am Jonny. Sein Team war schon bei der Benefizgala zu Jonnys Geburtstag im Jahr 2014 aufgetreten, damals lernte er Tina K. kennen. Tina freut sich sehr über sein Engagement. “Er kam einfach auf mich zu und hat mir seine Idee vorgeschlagen, das war sehr cool.” Zusammen mit Lisa Kühn hatte Jimenez erst eine kürzere Version des Stücks choreografiert. Tina K. sagt: “Das ist nicht mehr nur ein Musical, das ist mehr. Wir wollen die Jugendlichen ansprechen, ihnen zeigen, dass Gewalt keine Lösung ist.” Das Stück wird vorerst nur am 13. April zu sehen sein. Aber Jimenez und Tina K. möchten gern mit dem Bühnenstück eine deutschlandweite Tour zur Gewaltprävention starten.
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